Ratgeber SAP im Wandel: Cloud & KI definieren die Zukunft neu

Strategische Neuausrichtung: SAPs Cloud-First-Ansatz und seine Implikationen

SAPs Entscheidung, die Cloud in den Mittelpunkt seiner Unternehmensstrategie zu stellen, markiert einen Paradigmenwechsel. Der "Cloud-First"-Ansatz bedeutet, dass Neuentwicklungen und Innovationen primär für die Cloud konzipiert werden, während bestehende On-Premise-Lösungen weiterhin unterstützt, aber sukzessive in Cloud-Szenarien überführt werden sollen.

1.1 RISE with SAP als Transformationsbeschleuniger

Das Programm RISE with SAP, gestartet im Januar 2021, ist ein zentraler Pfeiler dieser Strategie. Es bündelt Software, Infrastruktur (Infrastructure-as-a-Service von Hyperscalern oder SAP), technische Services und Werkzeuge für die Geschäftsprozessoptimierung in einem einzigen Vertrag. Ziel ist es, Kunden den Übergang zu S/4HANA Cloud zu vereinfachen und eine sogenannte "Business Transformation as a Service" anzubieten. Ein Kernelement ist die Clean Core Strategy. Diese zielt darauf ab, über Jahre gewachsene, oft stark individualisierte ERP-Systeme zu standardisieren. Indem kundenspezifische Anpassungen vom Kernsystem entkoppelt und auf der SAP Business Technology Platform (BTP) als Erweiterungen realisiert werden, soll die Updatefähigkeit und Agilität der Systeme erhöht werden. Werkzeuge wie Signavio zur Prozessanalyse und -optimierung sowie LeanIX zur Visualisierung der IT-Landschaft unterstützen diesen Transformationsprozess. Fallstudien, beispielsweise von Unternehmen wie WEL Networks oder TE Connectivity, deuten auf Effizienzsteigerungen von bis zu 30% in Bereichen wie der Lieferkette hin. Dennoch zeigen Berichte, wie der Gartner-Report 2024, auch eine gewisse Zurückhaltung im Markt, bedingt durch wahrgenommene Migrationskosten und Komplexität, was die Akzeptanz von RISE-Verträgen zeitweise beeinflusste.

1.2 Hybride Cloud-Architekturen und regionale Wachstumstreiber

Obwohl der Fokus auf der Public Cloud liegt, erkennt SAP an, dass viele Großunternehmen einen schrittweisen Übergang bevorzugen. Hybride Cloud-Modelle, die On-Premise-Systeme mit Cloud-Lösungen verbinden, bleiben daher relevant. Regional betrachtet, zeigt sich insbesondere im asiatisch-pazifischen Raum, speziell in den ASEAN-Staaten, ein starkes Wachstum bei Greenfield-Implementierungen von S/4HANA Cloud. Hier nutzen vor allem mittelständische Unternehmen die Chance, ohne Altlasten moderne, skalierbare ERP-Systeme aufzubauen. Um die globale Reichweite und Leistungsfähigkeit seiner Cloud-Angebote sicherzustellen, expandiert SAP kontinuierlich seine eigene Rechenzentrumsinfrastruktur und arbeitet eng mit Hyperscalern wie AWS, Microsoft Azure und Google Cloud Platform zusammen. Dienstleister wie SEIDOR erweitern ebenfalls ihre Kapazitäten, um die wachsende Nachfrage zu bedienen. Trotzdem äußern laut Umfragen rund 40% der SAP-Kunden Bedenken hinsichtlich potenziell unvorhersehbarer Cloud-Kosten. SAP adressiert dies mit flexibleren Preismodellen und Werkzeugen wie Cloud ALM, die eine bessere Kostenkontrolle und Ressourcenoptimierung ermöglichen sollen.

Künstliche Intelligenz als Game Changer: SAP Joule und Business AI

Parallel zur Cloud-Transformation treibt SAP die Integration von Künstlicher Intelligenz in sein gesamtes Produktportfolio massiv voran. Unter dem Banner "Business AI" verspricht SAP praxisnahe, zuverlässige und verantwortungsvolle KI-Lösungen, die direkt in die Geschäftsprozesse eingebettet sind.

2.1 Die Evolution von SAP Joule

Der generative KI-Assistent Joule ist das Aushängeschild dieser KI-Offensive. Joule wurde im September 2023 vorgestellt und soll als natürlicher Sprachassistent fungieren, der kontextbezogene Einblicke aus verschiedenen SAP-Systemen und Drittanbieterquellen liefert. Er ist darauf trainiert, auf Basis von über 28.000 Kundendatensätzen (anonymisiert und aggregiert) und durch Integrationen mit Modellen von Partnern wie IBM Watson, Google Vertex AI und Microsoft Azure komplexe Anfragen zu verstehen und Handlungsempfehlungen zu geben. Im Gegensatz zu allgemeinen KI-Chatbots ist Joule tief in S/4HANA Cloud, SuccessFactors, SAP Customer Experience und die SAP Business Technology Platform (BTP) integriert. Dies ermöglicht eine direkte Interaktion mit Live-Geschäftsdaten und -prozessen.

Praktische Anwendungsfälle von Joule und anderer SAP Business AI-Funktionen umfassen:

• Automatisierte Rechnungsprüfung: KI-Algorithmen können Unstimmigkeiten oder Duplikate in Rechnungen und Zahlungseingängen erkennen und entsprechende Korrekturprozesse anstoßen, was bei Unternehmen wie der AGILITA AG zu einer signifikanten Reduktion manueller Eingriffe geführt hat.
• HR-Prozessoptimierung: Im Personalwesen unterstützt KI bei der Talentakquise durch die Analyse von Lebensläufen mittels Natural Language Processing (NLP) und schlägt passende Kandidaten für offene Stellen vor, wie es beispielsweise bei Philips 66 erprobt wird. Auch die Erstellung von Stellenbeschreibungen oder die Beantwortung von Mitarbeiterfragen kann automatisiert werden.
• Predictive Maintenance: In der Fertigungsindustrie analysiert KI Sensordaten von Maschinen, um Ausfallwahrscheinlichkeiten vorherzusagen und proaktiv Wartungsaufträge zu generieren, wodurch Ausfallzeiten minimiert und die Effizienz gesteigert werden können.
• Optimierung der Lieferkette: KI kann helfen, komplexe Lieferketten zu analysieren, Engpässe vorherzusagen und alternative Routen oder Lieferanten vorzuschlagen.

2.2 Ethische und technische Herausforderungen

Der Einsatz von KI wirft auch Fragen hinsichtlich Ethik, Transparenz und Datenschutz auf. Eine Studie der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) aus dem Jahr 2024 zeigte, dass eine Mehrheit der SAP-Anwender (ca. 68% der Befragten in der Schweiz) erklärbare und nachvollziehbare KI-Modelle fordert, bevor sie KI-Lösungen flächendeckend einsetzen. SAP adressiert diese Bedenken durch einen eigenen Ethik-Kodex für KI und den AI Foundation Layer auf der BTP, der Governance-Richtlinien, Audit-Trails und Werkzeuge zur Überwachung von KI-Anwendungen bereitstellt. Zudem setzt SAP auf die Einhaltung internationaler Standards und Zertifizierungen wie ISO/IEC 27001 (Informationssicherheit) und BS 10012:2017 (Datenschutzmanagement), um das Vertrauen der Kunden zu stärken.

Auswirkungen auf bestehende Kunden und Branchen

SAPs Transformation hat direkte Auswirkungen auf seine riesige installierte Kundenbasis. Der angekündigte Wartungsstopp für die Kernanwendungen der SAP Business Suite 7 (inklusive ECC 6.0) im Jahr 2027 (mit optionaler Extended Maintenance bis 2030 gegen Aufpreis) erzeugt einen erheblichen Migrationsdruck hin zu S/4HANA, vorzugsweise in der Cloud-Variante.

3.1 Migrationspfade und Modernisierungsoptionen

Unternehmen stehen vor der Wahl zwischen verschiedenen Migrationsansätzen: Greenfield (Neuimplementierung), Brownfield (Systemkonvertierung) oder hybride Ansätze. Während Großkonzerne wie Unilever oder Puma oft komplexe, hybride Szenarien wählen, um ihre umfangreichen Legacy-Systeme schrittweise zu modernisieren, zielt SAP mit GROW with SAP auf mittelständische Unternehmen ab. Dieses Angebot ist ein kostengünstigeres, vorkonfiguriertes Paket für den Einstieg in die Cloud-ERP-Welt. Prognosen, wie die der Fact.MR-Studie, gehen davon aus, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bis 2034 einen signifikanten Anteil (bis zu 27%) des SAP-Cloud-Marktes ausmachen werden. Dies wird durch branchenspezifische Cloud-Lösungen, beispielsweise für den Einzelhandel oder die verarbeitende Industrie (z.B. SAP Digital Manufacturing Cloud), weiter befördert.

3.2 Sicherheit und Compliance in der Multi-Cloud-Ära

Datensicherheit und Compliance sind in Cloud-Umgebungen von größter Bedeutung. SAPs Cloud-Angebote basieren auf einer Zero-Trust-Architektur und umfassen Maßnahmen wie Multi-Faktor-Authentifizierung, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und den Betrieb in SOC-2-zertifizierten Rechenzentren. Spezialisierte Werkzeuge von SAP und Partnern, wie EPI-USE Labs Data Secure zur Anonymisierung von Testdaten oder Soterion Access Risk Manager zur Überwachung von Berechtigungsrisiken, ergänzen das Sicherheitsportfolio. Eine Herausforderung bleibt das Management von "Shadow-IT", wenn Fachabteilungen eigenständig Cloud-Anwendungen Dritter an SAP-Systeme anbinden. SAPs BTP-Katalog mit geprüften und zertifizierten Erweiterungen soll hier für mehr Kontrolle und Sicherheit sorgen.

Nützliche Fakten zu SAPs Transformation

Zukunftsperspektiven: SAPs Roadmap bis 2030 und darüber hinaus

SAP blickt optimistisch in die Zukunft und plant, seine Innovationsgeschwindigkeit weiter zu erhöhen. Die Roadmap des Unternehmens deutet auf eine noch tiefere Integration von KI und eine Ausweitung auf neue Technologiefelder hin.

4.1 Von Assistenz-KI zu autonomen Agenten

Die Vision für Joule und Business AI geht über reine Assistenzfunktionen hinaus. SAP plant, bis 2025 ein Netzwerk von bis zu 400 autonomen KI-Agenten zu entwickeln, die proaktiv Geschäftsprozesse analysieren, optimieren und in Teilen selbstständig steuern können. Denkbar sind Szenarien wie autonome Lieferkettenagenten, die bei Störungen automatisch Alternativrouten planen, oder KI-gestützte Compliance-Systeme, die regulatorische Änderungen in Echtzeit in den Unternehmensprozessen umsetzen. Auch die Erforschung von Quantencomputing-Anwendungen für komplexe Optimierungsprobleme, beispielsweise in der Logistik oder Materialwissenschaft, wird in Pilotprojekten, unter anderem mit IBM Quantum, vorangetrieben.

4.2 Nachhaltigkeit als integraler Bestandteil und Innovationstreiber

Nachhaltigkeit entwickelt sich zu einem weiteren zentralen Innovationstreiber für SAP. Mit Lösungen wie dem SAP Sustainability Footprint Management oder der SAP Sustainability Control Tower ermöglicht es SAP Unternehmen, ihre Umwelt-, Sozial- und Governance-Performance (ESG) transparent zu messen, zu managen und zu berichten. Die Integration dieser Funktionalitäten in die Kernprozesse erlaubt es beispielsweise, den CO2-Fußabdruck auf Produktebene entlang der gesamten Lieferkette zu verfolgen und Reduktionsziele datengestützt zu steuern. BMW ist ein prominentes Beispiel für ein Unternehmen, das solche Technologien nutzt, um seine Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

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Fazit: SAP als Wegbereiter der intelligenten und vernetzten Unternehmensära

Die Transformation von SAP hin zu einem Cloud- und KI-zentrierten Lösungsanbieter ist ein ambitioniertes Unterfangen, das sowohl immense Chancen als auch erhebliche Herausforderungen birgt. Für Kunden bedeutet dies einerseits den Zugang zu innovativen Technologien, die Agilität, Effizienz und neue Geschäftsmodelle ermöglichen können – wie Erfolgsgeschichten von Early Adoptern wie TE Connectivity zeigen, die durch KI-gestützte Szenariosimulationen ihre Planungszyklen um bis zu 30% verkürzen konnten. Andererseits erfordert der Wandel Investitionen, ein Umdenken in den IT-Strategien und den Aufbau neuer Kompetenzen.

SAP positioniert sich klar als Enabler dieser neuen Ära des "intelligenten Unternehmens". Die Zukunft wird zeigen, inwieweit es SAP gelingt, seine Vision umzusetzen, die Akzeptanz seiner neuen Lösungsgenerationen im breiten Markt zu verankern und sich im scharfen Wettbewerb mit anderen Technologiegiganten wie Oracle (mit seiner Fusion Cloud) oder spezialisierten Cloud-Anbietern wie Workday und Salesforce nachhaltig zu behaupten. Für Unternehmen, die bereit sind, diesen Weg der digitalen Transformation mitzugehen, bietet SAPs Innovationskurs eine solide Grundlage – erfordert jedoch strategische Weitsicht, mutige Entscheidungen und die kontinuierliche Bereitschaft, in die digitale Zukunft zu investieren. Die Weichen für eine Cloud- und KI-dominierte Zukunft der Unternehmenssoftware sind gestellt, und SAP ist entschlossen, diese maßgeblich mitzugestalten.

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Über den Autor

Andreas Vonoia

Finanz-Experte

Hallo, mein Name ist Andreas Vonoia, und ich bin Finanzredakteur bei Aktie.net. Ich habe mich auf das Thema Aktien-Trading spezialisiert.